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GlaubeTürkei

Türkei: Die Chora-Kirche in Istanbul ist nun eine Moschee

Pelin Ünker | Burak Ünveren
11. Mai 2024

Die im 11. Jahrhundert erbaute Chora-Kirche wurde im Mittelalter zur Moschee und 1958 ein Museum. Nach der antiken Hagia Sophia ist nun der zweite christliche Monumentalbau in Istanbul wieder ein islamisches Gotteshaus.

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Luftaufnahme der Chora-Kirch bzw. Kariye-Moschee mit zahlreichen Gebäudeteilen mit Kuppeln und einem Minarett im Kontext des Stadteils Fatih
Die Chora-Kirche im europäischen Teil von Istanbul ist nun wieder die Kariye-MoscheeBild: ANKA

Rund 450 Jahre lang diente die Chora-Kirche in Konstantinopel Christen als Gotteshaus. Seit die Stadt, die heute Istanbul heißt, 1453 von dem osmanischen Sultan Mehmet II. erobert wurde, ist sie in türkischer Hand und mit ihr die Chora-Kirche. Genau wie auch die im sechsten Jahrhundert erbaute Hagia Sophia - das vielleicht bedeutendste Gebäude christlicher Architektur überhaupt - widmeten die Osmanen die Chora-Kirche zur Moschee um.

In beiden Fällen bewahrten sie jedoch weitgehend den architektonischen und künstlerischen Charakter. In der Chora-Kirche etwa sind bis heute bedeutende Mosaiken und Fresken aus dem frühen 14. Jahrhundert zu sehen. Während des islamischen Gebets werden solche Darstellungen lediglich abgedeckt.

Als Moschee "zurückerobert"

Nach der Gründung der Türkischen Republik 1923 durch Mustafa Kemal Atatürk waren beide Bauwerke zu Museen umfunktioniert worden - die Hagia Sophia 1935, die Chora-Kirche (nunmehr Kariye-Moschee genannt) 1948. Doch im Jahr 2020 erhielten beide durch ein Dekret von Präsident Recep Tayyip Erdoğan ihren Status als Moschee zurück. Seit diesem Monat ist die Chora-Kirche auch wieder faktisch für das islamische Gebet geöffnet.

Für die AKP-Regierung haben die Bauten eine symbolische Bedeutung über ihren Wert als UNESCO-Weltkulturerbe hinaus. Erdogans AKP betont islamische Werte.

Das Mosaik "Genealogia Mariae" in der Nord-Kuppel der Chora-Kirche zeigt Maria mit dem Jesus-Kind auf goldenem Hintergrund
Für das Christentum bedeutsame Mosaiken und Fresken sind heute immer noch zu sehenBild: Bildagentur-online/Tetra Images/picture alliance

Bei beiden der jüngsten Umwidmungen stand denn auch der Begriff "Eroberung" im Vordergrund. Regierungstreue Medien verwendeten das Wort in ihren Schlagzeilen. Als eine "Trophäe der Eroberung" bezeichnete das Präsident Erdogan untergeordnete Präsidium für Religionsangelegenheiten Diyanet die Chora. "Die Hagia Sophia ist der Beweis dafür, dass wir diese Region jetzt besitzen. Die Hagia Sophia ist das Schwertrecht der Eroberung, das Herrschaftsrecht der Türkei", sagte Erdoğans Vertrauter Numan Kurtulmuş, als der spätantike Kuppelbau 2020 wieder Moschee wurde.

Lebendige Geschichte des Christentums

Nikolaos Uzunoğlu, Präsident der Universalen Föderation der Istanbuler Griechen, beschreibt die Bedeutung der Chora-Kirche so: "Die Chora ist das wichtigste Bauwerk der letzten Renaissance-Epoche des Byzantinischen Reichs und schildert das Wesentliche des Christentums."

Die Architektin und Restaurateurin Zeynep Ahunbay betont, dass die Chora für Kunsthistoriker von einer besonderen Bedeutung ist: "Es gibt in der Türkei viele ehemals byzantinische Bauten, die bei Erdbeben Schaden genommen haben und dann restauriert worden sind. Doch man konnte die Mosaiken in diesen Bauten nicht so gut bewahren wie die in der Chora." Ahunbay ist überzeugt, dass das Erbe des Gebäudes so präsentiert werden müsse, dass es seiner Vergangenheit gerecht wird: In der Funktion als Moschee sei dies kaum zu erwarten.

Teils verblasste, teils restaurierte Wandgemälde zeigen Jesus als jungen Mann sowie weitere Bibelszenen
Einzigartige Fresken spät-byzantinischer Kunst zieren die Wände der ChoraBild: ANKA

Ein klarer Rückschritt?

Griechenland ist von der Entscheidung nicht begeistert: Premierminister Kyriakos Mitsotakis fliegt am Montag nach Ankara. Er sei wegen der Umwidmung "verstört" und habe vor, Erdoğan seine Unzufriedenheit mitzuteilen.

Auch viele Türken bereitet die Umwidmung Sorgen. Sie befürchten, der Schritt könnte Auswirkungen auf den Frieden zwischen den Religionen haben. Uzunoğlu weist auf die "Allianz der Zivilisationen" hin, die 2006 auf Initiative der Türkei und Spaniens im Rahmen der UN gegründet wurde. "Angesichts dieser Initiative müssten die Empfindlichkeiten zwischen Religionen auf höchster Ebene sein, um den Dialog und die Toleranz gegenseitig zu verbessern", so Uzunoğlu.

Ahunbay sieht in der Entscheidung einen Beweis für die Abkehr von der laizistischen Staatsidee Atatürks, die die AKP-Regierung vollführt: "Die säkuläre Regierung entschied damals, kulturelles Erbe anderweitig nützlich zu machen. Heute geht es um eine religiöse Nutzung. Das ist Rückschritt. Ich finde das nicht richtig für das Kulturerbe."

Die verwinkelte Chora-Kirche aus roten und grauen Stein-Quadern mit mehreren Kuppeln und einem Minarett
Die Chora-Kirche aus dem 11. Jahrhundert verlor ihren Status als Museum mit einem Dekret von Präsident Erdogan im Jahr 2020Bild: Martin Siepmann/picture alliance

"Es gibt zig Moscheen in der Nähe"

Der islamische Theologe İhsan Eliaçık findet die Entscheidung überflüssig - aus ganz praktischer Sicht. In unmittelbarer Nähe der Chora wie auch der Hagia Sophia gebe es ausreichend viele Moscheen für das islamische Gebet: "Keiner braucht diese Bauten als Moschee." Seiner Meinung nach hängen die Entscheidungen über beide Bauwerke zusammen: "Diese Regierung macht Politik damit, Kirchen und Museen zu Moscheen umzuwidmen", so Eliaçık. "Die Kunstwerke in der Chora-Kirche erzählen die Geschichte des Christentums. Es sind historische Bauten, die der Menschheit gehören. Deswegen müssten sie Museen bleiben."

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.